Ich bin Linker mit Herz und Seele. Mein Herz wird immer links schlagen, es wird immer für linke Politik schlagen.
Ich war für die Partei DIE LINKE Direktkandidat im Landtagswahlkampf, habe mich um einen Listenplatz im Bundestagswahlkampf beworben, war Vorstand und Sprecher meines Kreisverbandes und Mitglied im Sprecherinnenrat einer Landesarbeitsgemeinschaft. Dazu war ich in zahlreichen Initiativen aktiv.
In dieser Woche habe ich sämtliche Ämter niedergelegt und bin aus der Partei ausgetreten.
Genauso wenig wie ich mir meinen Eintritt in die Partei damals leicht gemacht hatte, habe ich mir meinen Austritt leicht gemacht. Ich habe mir über Monate Gedanken darüber gemacht.
Und musste dabei in den vergangenen Monaten immer mehr feststellen, dass mich das Gesamtkonstrukt und der Modus Operandi dieser Partei mehr und mehr abgestoßen, ja teilweise angewidert haben, als ich es für möglich gehalten habe.
Me, too
Der Umgang mit dem „Linke me-too“ Skandal, der bis heute keine umfangreiche Aufarbeitung erfahren hat, bei dem Täter über Jahre geschützt wurden und bei dem es anstatt einem Bekenntnis zur Aufarbeitung nur blinde Bekenntnisse zu einzelnen, oftmals belasteten, Führungskräften gab hätte eine Zäsur für unsere Partei werden müssen. Gerade die westdeutschen Verbände haben vor allem durch blinde Bekenntnisse zu Führungskräften geglänzt – zu einem Zeitpunkt an dem die wirkliche Tiefe der Verwicklung noch nicht einmal im Ansatz klar war und in dem nur die Aussage dieser Führungskräfte als Gegenargument zur Verfügung stand.
Nicht nur, dass sowas ein wenig an den Führerkult vergangener Tage erinnert, dieses Verhalten hat eine unabhängige Aufklärung merklich behindert, Opfer diskreditiert und so einen unfassbaren Schaden angerichtet.
Wofür?
Im Anschluss folgten natürlich vollmundige Versprechen der Aufklärung unter Beteiligung der Basis, der Opfer und der Öffentlichkeit.
Doch wenn wir realistisch sind, geschah am Ende fast nichts.
Man nutzte es nur um unbequeme Führungskräfte auszuschalten bzw. abzuschieben.
Es geschah so wenig, dass sogar prominente Landespolitikerinnen in ihrem eigenen Bundesland kein Gehör mehr fanden und nur noch durch einen medienwirksamen Rückzug aus der Politik einen messbaren Effekt erzielen konnten.
Ich muss jeden linken Genossen wie auch mich selber daher fragen: Wie weit her ist es mit unseren Idealen, wenn wir mit den gleichen belasteten Leuten weiter machen, wie zuvor und nur bei medialer Aufmerksamkeit etwas gegen sexualisierte Gewalt und Misogynie tun?
Ukraine-Konflikt – Zwischen Beißreflexen, Whataboutism und hohlen Zusicherungen
Kaum anders stellt sich die Partei im Ukrainekonflikt dar.
Daher von mir klipp und klar:
Wladimir Putins Russland führt in der Ukraine einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg – und das ukrainische Volk hat nicht nur jedes Recht sich zu verteidigen, sondern wir als Mitglied einer europäischen Wertegemeinschaft aber auch als Deutsche im Angesicht deutscher Geschichte haben die ethische, moralische und humanitäre Pflicht dem ukrainischen Volk beizustehen und Unterstützung zu leisten.
Wer von den Ukrainern fordert im Angesicht von Völkermord, Vertreibung und Annexion sofortige Friedensverhandlungen aufzunehmen, wer eine Lieferung von defensiven Waffensystemen an die ukrainische Armee verurteilt oder Deutschlands Energie- und Wirtschaftsinteressen über die humanitäre Katastrophe dieses Krieges stellt hat als Linker seinen moralischen Kompass vollkommen und umfassend verloren.
Die Haltung, die ein Teil der Partei täglich öffentlich kundtut, könnte nicht widerwärtiger sein. Denn sie stellt billige Parolen von den nationalen Interessen Deutschlands über das Leben und die Freiheit der Ukrainerinnen und Ukrainer. Das ist nicht nur moralisch verwerflich, sondern schlichtweg eine Technik, die sonst von der AfD und ihresgleichen verwendet wird.
Es ist billigster Populismus, den prominente Genossen wie Wagenknecht, Pellmann, Ernst, Dehm etc. betreiben und dem von Seiten der Parteiführung nur ein „Pro-forma“-Lippenbekenntnis entgegengesetzt wird. Ihr beklatscht Wagenknecht im Bundestag und setzt dann einen „klärenden Kommentar“ bei Twitter ab.
Also nicht einmal als Gesamtpartei sondern durch einzelne Vorstände.
Doch ein einmaliges, fast geflüstertes, Bekenntnis reicht hier eben nicht. Es hat nur den Sinn, dass im medialen und parteiinternen Diskurs darauf verwiesen werden kann. Eine dauerhafte, stetige, aktive Gegenstimme dieser Partei und Ihrer Führung gegen diese Speichellecker eines faschistoiden Regimes ist für viele Bürgerinnen und Bürger nicht erkennbar – und für mich auch nicht.
Stattdessen verliert man sich lieber in alten, überholten, Positionen, reflexhaften Zünden von Strohmännern über die Verbrechen der NATO, alten Beißreflexen in Form von gelebtem Antiamerikanismus, ignorieren die Selbstverteidigungs- und Freiheitsrechte eines ganzen Volkes und bleiben vor allem wieder eines: Undefiniert.
Ein ernsthaftes, diesem Wendepunkt europäischer Politikgeschichte gerecht werdendes, politisches Umdenken ist für mich nicht zu erkennen. Man hofft einfach, dass man den selbstgerechten Pazifismus der vergangenen 40 Jahre weiter leben kann und diese „Ukrainesache“ schon irgendwann vorüber gehen wird. Dazu mixt man ein wenig „Ablehnungspolitik“ ohne eigene ernstzunehmende Vorschläge und fertig.
Hauptsache, man muss sich nicht entscheiden zwischen einem wehrhaften, linken, demokratischen Antifaschismus und einem an der Weltrealität vorbei gehenden bequemen Pazifismus vom hohen moralischen Ross der Absolutismen.
Hauptsache man bleibt:
UNDEFINIERT
Doch dieses undefiniert sein nehmen die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes einer linken Partei einfach nicht mehr ab – Vollkommen zu Recht.
Undefiniertheit als Programm
In einer Online-Gesprächsrunde mit Janine Wissler und Susanne Henning-Wellsow sprach ich vor einigen Monaten beide darauf an. Janine antwortete mir sinngemäß so: Man könne sich ja nicht näher definieren, da die Partei so meinungsstark wie pluralistisch sei, dass man dann ja unweigerlich einen Teil der Partei vor den Kopf stoßen würde mit dem Ergebnis, dass DIE LINKE ggf. zerbrechen würde und es Zustände, wie in Frankreich mit mehreren linken Parteien geben würde.
(Übrigens: Susanne widersprach dieser These indirekt später im Verlauf der Gesprächsrunde. Und trat, zu meinem großen Schock, wenige Tage später zurück, sicherlich nicht deswegen, aber es zeigte doch sehr den Unterschied zwischen Ihr und dem Parteiestablishment.)
Ich bin ganz ehrlich?
Dieser Tag war der Anfang vom Ende meiner Zeit in der Linken.
Denn für mich zeigt diese Aussage vor allem eines: Man hat Angst die eigenen Pfründe zu verlieren.
Man hat Angst, dass bei klaren Meinungen und Lösungen ein Parteiflügel wegbrechen könnte.
Es geht dabei also weder um dieses Land noch um die Wählerinnen und Wähler.
Es geht um Partei-interne Machtkämpfe und das eigene politische Überleben in selbiger.
In einer Partei, die in der letzten Bundestagswahl die 5% Grenze bereits unterschritten hat.
In einer Partei, die bereits jetzt in Westdeutschland kaum noch politische Relevanz hat, die und die vor allem von ihren, langsam wegsterbenden, Altwählern in Ostdeutschland lebt.
Entschuldigung, aber eine linke Partei die mehr Angst vor sich selber als vor den unfassbaren Problemen unserer Zeit hat, hat ihre moralische wie politische Existenzberechtigung verloren.
Dass dieser Status der Undefinierbarkeit System hat, zeigt sich flächendeckend.
An Parteitagen gewinnt im Regelfall derjenige, der die bekannten Parolen eines Flügels am besten ins Mikrofon brüllt und vor allem keine Widerworte oder fixe Positionen wiedergibt.
Diejenigen, die für Inhalte oder gar abweichende Meinungen stehen, die ggf. Aufmucken werden dann in einfacher Hinterzimmer-Politik ohne jegliche demokratische Legitimierung „abgesägt“ und zum Paria erklärt. Wichtig ist nicht die Person oder der Inhalt, für den man steht, sondern der Proporz zwischen großen Kreisverbänden, Fraktion, Flügel, Bewegung und Gruppe. In meinem Bundesland hat dies dazu geführt, dass DIE LINKE außerhalb der großen Unistädte de facto keinerlei politische Relevanz mehr hat und die Mitglieder reihenweise austreten oder in die Inaktivität verschwinden. Warum sollte man es auch überhaupt versuchen?
Aktuelle Politik? 404 – Not found
In der für mich so wichtigen Gesundheitspolitik hat diese Partei de facto, außer hohlen Parolen nichts Konstruktives zu sagen. Schlimmer noch: Man will auch gar nichts sagen. Denn eine fachlich-fundierte Aussage hat den gewaltigen Nachteil, dass sie vom politischen Gegner innerhalb der eigenen Partei genutzt werden könnte.
Oder gar vom Wähler eingefordert werden könnte?
Offen gesagt: Aus meiner Sicht hat DIE LINKE außer einem wenig fundierten Versicherungskonzept, einer Stammtischforderung zur Pflege und einigen Allgemeinthesen kaum Inhalte in diesem Bereich – weder auf Landes- noch auf Bundesebene, in einer Wahlperiode, die von Corona und dem Zusammenbruch unseres Gesundheitssystems geprägt war.
Man hat es vor der Bundestagswahl in 1,5 Jahren Pandemie nicht hinbekommen einen Standpunkt zur Corona-Politik und zur Impfpflicht zu entwickeln – obwohl die Partei hierzu als erste Partei im Bundestag einen entsprechenden Bundesvorstandsbeschluss vorzuweisen hatte.
Warum? Weil es nicht gewünscht war. Weil Menschen wie Wagenknecht und Co. parallel im Stile der schlimmsten Verschwörungstheoretiker über den Impfwahnsinn bei Youtube fabulierten. Weil die Fraktion wie immer machte was sie wollte. Weil es Diskussion bedeutet hätte anstatt einer vorgeschobenen Einigkeit.
Kleiner Tipp nach Berlin: Für die Wählerinnen und Wähler heißt diese vorgeschobene Einigkeit vor allem eines: Man macht sich damit die Thesen von diesen Populisten zu eigen.
Wie in so vielen Bereichen. Man bleibt lieber faktisch undefiniert.
Anstatt sich den Krisen unserer Zeit zu widmen und den Menschen Antworten zu geben sind für DIE LINKE einmal angefangene Kampagnen und alte Parolen wichtiger.
Eigentlich müsste DIE LINKE nach Corona, unserem zusammenbrechenden Gesundheits- und Sozialsystem, der sich aus dem Ukrainekonflikt ergebenden neuen außenpolitischen Lage inklusive der enormen innenpolitischen Verwerfungen und der immer deutlicher werdenden Klimakatastrophe momentan einen massiven Höhenflug in der Gunst der Wählerinnen und Wähler erleben.
Mehr „politische Aufschläge“ kann linke Politik kaum erfahren, eine umfangreichere Sammlung von Fragen und Ängsten der Bevölkerung auf die linke Politik die Antwort ist kann es kaum geben.
Wir erleben, wie rechte wie konservative Positionen gerade in einem noch nie dagewesenen Umfang an der Realität scheitern und es trotzdem zum beispiellosen Aufschwung der rechten Kräfte in Europa kommt.
Und ihr diskutiert über Kuba oder welche Bevölkerungsgruppen noch zu einer proletarischen Revolution gehören oder nicht.
Ihr wiegelt die aufgrund der stetigen Änderung der Weltlage notwendige konstante Fortentwicklung neuer inhaltliche Positionen mit dem Verweis auf das „hart erarbeitete“ Erfurter Grundsatzprogramm ab.
Einem Programm aus dem Jahre 2011. Doch heute ist nicht mehr 2011 – die Welt funktioniert fundamental anders als damals.
Ihr peitscht euch selber mit den großen Linken des zwanzigsten Jahrhunderts ein und auf – und seit dann zu bequem von eurem hohen Ross runter zu kommen.
Ihr zitiert Orwell und Hemingway und hättet beide 1936 als Verräter am linken Pazifismus verurteilt.
Eure stetigen „Erneuerungsinitiativen“ dienen vor allem dazu diejenigen, die noch unverkrampft und nicht „eingenordet“ ans Werk gehen, zu binden und ihre Zeit zu „fressen“. Denn ihre Konstante ist eines: Sie laufen ins Leere. Bewusst und gewollt.
Doch ohne konkrete, sich stetig weiter entwickelnde Inhalte und Antworten und mit dem stetigen Beharren auf alten Konsenspositionen aus Angst vor der Diskussion hat und wird DIE LINKE keinerlei Antworten mehr aufweisen können und glänzt medial lieber durch Parolen ohne Hintergrund, Querfeuer oder, gerade in meinem Landesverband, durch schlichte inhaltliche Abwesenheit.
So liefern Führungsfiguren, aus Angst sich in der eigenen Partei zu verbrennen, einfach nichts und übersehen dabei, dass für die Menschen, die diese Partei wählen sollen, schon lange ersichtlich ist, dass es sich nur noch um die ausgebrannte Hülle linker Politik handelt, gehalten von Parolen und der Angst um die Pfründe der staatlichen Parteienfinanzierung.
So findet die Linke auch weiterhin keine Antworten auf aktuelle Fragen, Nöte und Sorgen der Menschen in diesem Land.
So ist keine Politik zu machen.
Entschuldigung, aber das ist für mich moralisch nicht mehr mitzutragen.
Mein Herz schlägt immer links und für linke Politik.
Jedoch nicht mehr für diese Partei.